Lieber Andreas, die SICOS BW hat gerade ihren zehnten Geburtstag gefeiert, wie kam es überhaupt zur Gründung?
Die Geschichte des Höchstleistungsrechnens mit der und für die Industrie reicht tatsächlich zurück bis zu Lothar Späth. Er hat 1986 nicht nur quasi im Handstreich eine Cray 2 für das Rechenzentrum der Universität Stuttgart gekauft, sondern er hat auch dafür gesorgt, dass es noch einige neue Stellen für Mittelstandsberater gab. Er hat also nicht nur gesagt „Mein Ländle braucht so einen Supercomputer!“, sondern er hat auch erkannt, dass es nicht genügt, einfach das „Blech“ dorthin zu stellen, man muss insbesondere denen, die nicht jeden Tag damit arbeiten, aber von der Nutzung profitieren könnten, Unterstützung geben.
Nun feiert die SICOS BW aber nicht den 35sten Geburtstag, sondern den 10ten. Was ist in der Zwischenzeit passiert?
Nun, Lothar Späth war sehr weitsichtig, aber in diesem Falle schaute er etwas zu optimistisch in die Zukunft: die Technologie war damals schlicht noch zu kompliziert für den produktiven Einsatz und es gab auch noch gar keine kommerzielle Software, was den Einsatz in der Industrie noch zusätzlich erschwert hat. Nichtsdestotrotz hat er aber einen Stein ins Rollen gebracht, denn etwa zehn Jahre später, also 1995, wurde die Höchstleistungsrechner für Wissenschaft und Wirtschaft Betreibergesellschaft mbH gegründet, heute noch unter dem Kürzel hww bekannt und aktiv. Die hww war und ist ein Joint-Venture, in dem 50% bei der Industrie liegen (damals Daimler und Porsche, inzwischen T-Systems und Porsche) und 50% bei den öffentlichen Partnern (das Land Baden-Württemberg, das KIT und die Universität Stuttgart). Hier wurde die Zusammenarbeit richtig institutionalisiert, auf höchster Ebene eingefädelt vom damaligen Ministerpräsidenten Erwin Teufel und dem Daimler Vorstandschef Edzard Reuter.
Das hört sich aber nicht so richtig nach Mittelstand an, auch wenn Porsche damals noch deutlich kleiner war, oder?
In der Tat: die hww hat sich eigentlich immer auf ihre Gesellschafter, also Porsche und Daimler konzentriert (von Daimler wurde das an die IT-Tochter debis delegiert; daher wurde mit dem Verkauf der debis an T-Systems diese letztlich Gesellschafter). Und auch von der Anlage her war die hww nie in Richtung Mittelstand aufgestellt. Aus diesem Grund haben dann die öffentlichen Partner im Jahr 2010 beschlossen, eine Firma zu gründen, die sich vor allem auf den Mittelstand in Baden-Württemberg fokussiert. Im Juni 2011 war es dann soweit, die SICOS BW wurde damals noch unter dem Namen hvv gegründet (man fand es nett, eine hww für die Großen und eine hvv für die Kleinen zu haben) und mit einer Anschubfinanzierung des Wissenschafstministeriums (MWK) auf den Weg gebracht. Inzwischen teilen sie die beiden Universitäten und das MWK die Kosten der SICOS BW.
Wie ging es denn dann mit der SICOS BW los, was habt Ihr als erstes gemacht?
Zunächst war ich erst einmal ganz alleine, das Budget reichte im Kern für insgesamt drei Personen. Ich habe daher zunächst jemanden gesucht, der mich bei den organisatorischen und planerischen Aufgaben unterstützt und jemanden, der eher das Technische im Blick hat. Wir mussten dann kräftige Aufbauarbeit leisten, was die Positionierung und auch die Bekanntheit der neugegründeten Firma anging. Das beinhaltet die Namensfindung (SICOS steht eigentlich für SImulation, COmputing und Storage) aber auch die Basis für die Etablierung einer Marke, die mit den Themen Technologietransfer, HPC und Data Analytics verbunden ist (damals hieß das noch „Large Scale Data Facilities“). Wir ließen dann eine Webseite aufbauen, das Informationsmaterial und wurden aktiv beim Netzwerkaufbau. Dazu haben wir sowohl eigene Veranstaltungen durchgeführt (z.B. Verbände mit den tollen Rechnern ans HLRS gelockt), waren aber auch auf vielen Veranstaltungen anderer unterwegs, sei es als Sprecher, als Teilnehmer oder auch als Aussteller (z.B. bei der CeBIT, der Hannover-Messe oder bei User-Meetings von HPC-Software-Firmen).
Neben der technischen Ausrichtung auf die Themen HPC und Data Analytics müsst Ihr ja eigentlich auch verschiedene Branchen adressieren, wie macht Ihr das denn?
Im Grund sind die Technologien ja erst einmal branchenneutral, können also fast überall eingesetzt werden. Andererseits unterscheiden sich die verschiedenen Branchen durchaus auch in der Art der möglichen Anwendungen. Daher müssen wir bei der SICOS BW eine gewisse Breite haben, so dass wir Interessenten erst einmal unabhängig von ihrer Branche dort abholen können, wo sie stehen. Hier hilft uns natürlich die lange Erfahrung, die wir in der SICOS BW gebündelt haben. Allerdings fehlt uns oft die Tiefe, wir können und wollen auch gar nicht alles abdecken; dafür haben wir ja unsere Gesellschafter und Partner.
Vor diesem Hintergrund ist auch schon vor der Gründung der SICOS BW das Konzept der Solution Center entwickelt worden: im Jahr 2008 entstand das erste im Bereich Automotive; heute heißt es Automotive Solution Center for Simulation, asc(s. Hier haben sich Unternehmen aus dem Automobilbereich (Porsche und Daimler waren wesentliche Initiatoren) mit Forschern aus den Universitäten, speziell der Universität Stuttgart, zusammengefunden um gemeinsam im vorwettbewerblichen Bereich Synergien zu suchen und Entwicklungen voranzutreiben. Da es hierbei um Entwicklungswerkzeuge geht und nicht um die Produkte selbst, funktioniert das in der Praxis tatsächlich sehr gut.
Kurz nach dem asc(s wurde das Energy Solution Center (EnSoC) gegründet und vor einigen Jahren dann des Media Solution Center (MSC-BW); das neueste Solution Center wird in wenigen Monaten starten und den Bereich Medizintechnik adressieren (MedSoC). Das Smart Data Solution Center BW passt im Prinzip auch in diese Reihe, ist aber nicht auf eine Branche, sondern eher technologisch ausgerichtet und hat primär das Ziel, Neulinge bei der Nutzung der Smart Data Analytics zu unterstützen; aber auch hier gibt es einen starken Netzwerkgedanken, wir wollen die „Stakeholder“ rund um die Technologie zusammenbringen.
Heute hat die SICOS BW ja mehr als zehn Mitarbeiter, ist Euer Budget so stark erhöht worden?
Nein, leider nicht ;-). Obwohl ich mich nicht beschweren möchte, es hat schon ein wenig Anpassung gegeben, im Kern haben wir nun eine Finanzierung für vier Personen. Aber der größere Teil unserer Mitarbeiter ist tatsächlich Projekt-finanziert. Aktuell bekommen wir Förderungen vom Wissenschaftsministerium des Landes, vom BMBF und von der EU. Dabei geht es uns nicht einfach darum, Stellen finanziert bekommen, sondern wir versuchen bei solchen Projekten dabei zu sein, die unseren Kernauftrag des Technologietransfers unterstützen. Dabei sind besonders unsere beiden Gesellschafter sehr hilfreich, da die beiden Rechenzentren uns sehr gerne mit in Projektanträge aufnehmen, wenn es darum geht, zur Industrie hin zu kommunizieren oder KMUs mit einzubeziehen. Auf diesem Weg ist praktisch eine Win-Win-Situation entstanden, die der Investition unserer Geldgeber einen deutlichen Hebel gibt.
À propos MitarbeiterInnen: wir haben vor einer Weile festgestellt, dass wir tatsächlich ein sehr internationales Team haben, sei es direkt oder über die Eltern sind bei uns fast so viele Nationalitäten vertreten wie Mitarbeiter: französisch, koreanisch, niederländisch, österreichisch, persisch, russisch, türkisch, ungarisch und natürlich deutsch. Gender-mäßig sind wir nicht ganz so gut, da haben wir einen spürbaren Frauenüberhang ;-). Ich bin überzeugt davon, dass uns diese Diversität sehr guttut.
Nach 10 Jahren sollte man nicht nur zurück, sondern auch nach vorne schauen. Wo siehst Du denn die SICOS BW in den nächsten zehn Jahren?
Aktuell ist die SICOS BW eine etablierte Größe beim Technologietransfer rund um HPC und DA/AI. Man kennt und schätzt uns auf der Landesebene, auf der Bundesebene und auch bei der EU. Wir sind sehr gut vernetzt und können einen wertvollen Beitrag leisten. Aber wir sehen das Erreichte nicht als Stufe an, auf der wir nun verweilen und so weitermachen wie bisher. Wir sehen das Erreichte als Basis für viele neue Aktivitäten an, die wir weiterentwickeln können, Themen, die wir vor fünf Jahren noch gar nicht absehen konnten. Und natürlich entwickelt sich unser technisches Umfeld stetig weiter: vor zehn Jahren gab es den Begriff Big Data noch gar nicht und künstliche Intelligenz dümpelte eher vor sich hin.
Wir möchten die Erfahrung und auch die Netzwerke, die wir aufgebaut haben, dazu nutzen, unserer Zielgruppe, den KMUs dabei zu helfen auch die kommenden Entwicklungen zu bewältigen. Dafür haben wir schon vor einigen Jahren angefangen, das Thema Weiterbildung zu forcieren (mit unseren Partnern), wir erschließen aktuell den Komplex der Nachhaltigkeit (den die großen Unternehmen schon fast verinnerlicht haben, den die kleinen aber noch gar nicht so richtig auf dem Schirm haben) und wir schauen uns auch schon mal an, was beim Quanten-Computing so kommt, auch wenn es vermutlich noch 5-10 Jahre dauern wird, bis das für KMUs relevant wird. Und wir vernetzen uns immer weiter, vor allem auf der Europäischen Ebene, aber auch in ganz Deutschland. Damit irgendwann jedes KMU weiß, dass es sich an die SICOS BW wenden kann, wenn es wissen will, ob das High-End im Computing und der Daten-Analyse hilfreich für sein Geschäft sein könnte.